Süd Deutsche Zeitung 10.februar 2014.
Plamen očaja
Ustanak u Bosni
Tri kantonalne vlade su već podnijele ostavku.
Jedan od tri člana predsjedništva zahtjeva nove izbore u ovoj maloj zemlji.
Masovni protesti već su nakon nekoliko dana pokazali rezultate. Narod se želi
riješiti korumpirane elite i konačno uhvatiti priključak za Evropu.
Objavljeno u Süd Deutsche
Zeitung 10. februara 2014.
Die Aufstände in Bosnien
Drei regionale Regierungschefs haben schon ihren Rücktritt
verkündet, einer ist sogar geflohen.
Und einer von drei Staatspräsidenten verlangt Neuwahlen in
dem kleinen Vielvölkerstaat. Der Massenprotest zeigt bereits nach wenigen Tagen
erste Erfolge. Die Menschen wollen ihre korrupten Eliten loswerden – und
endlich den Anschluss an den Rest Europas finden
Das kleine Balkan-Land ist bitterarm, aber es leistet sich
einen Regierungsapparat mit mehr als 160 Ministerien. Das ist Europarekord -
genauso wie die Arbeitslosenquote von 44 Prozent Nun Ist die lodernde
Unzufriedenheit explodiert
VON FLORIAN HASSEL
Der Explosion des Volkszorns folgt das größte Aufräumen. Ob in
Sarajevo, oder Mostar, in Tuzla oder Zenica - überall in Bosnien-Herzegowina
greifen am Samstag und Sonntag nicht nur öffentliche Bedienstete, sondern auch
viele Bürger zu Schaufeln. Mullsäcken oder einfach nur zum Putzlappen. um die
Folgen der Demonstrationen zu beseitigen. Jedenfalls, so gut es geht. Im Staatsarchiv
von Bosnien-Herzegowina zum Beispiel geht gar nichts mehr: Dessen Mitarbeiter
stehen traurig vor den Überresten eines ausgebrannten Archivraums.
Jahrhundertealte Kauf- und Schenkungsvertrage sind ebenso verbrannt wie
Unterlagen über Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg.
Das zerstörte Archiv ist nicht der einzige Großschaden der
größten Protestwelle in Bosnien-Herzegowina seit dem Bürgerkrieg, mit
Kundgebungen in 32 Städten. Die Schlagzeilen bestimmte das halbe Dutzend Städte,
in denen Protest in Gewalt umschlug. Allein in Sarajevo wurden 187 Polizisten
und 138 Demonstranten verletzt. Der Verwaltungssitz des Bezirks Sarajewo ging
ebenso teilweise in Flammen auf wie der Site der Präsidentschaft
Bosnien-Herzegowinas. In Tuzla, wo die Proteste ihren Ausgang nahmen und der
Sitz der Kantonalregierung teilweise ausbrannte, wichen die Behörden in städtische
Schulen
aus. In Mostar brannte nicht nur die Kantonalregierung,
dort brannten auch Stadtverwaltung, Stadtrat und Parteisitze.
Die Demonstrationen, die auch am Sonntag in Sarajevo oder
Bihać weitergehen, sind Resultat einer Unzufriedenheit. die sich seit Jahren
aufgebaut hat. Bosnien-Herzegowina hat die höchste Arbeitslosigkeit in Europa:
44 Prozent der Bosnier haben keinen Job. Arbeit gibt es fast nur in staatlichen
Behörden. Von denen aber gibt es so viele wie nirgendwo sonst. Da ist erstens
die Zentralregierung des Staates Bosnien-Herzegowina. Da sind zweitens die
Die Menschen müssen im Schnitt von 420 Euro im Monat leben
Regierungen der Republika Srpska (RS), der von Serben
dominierten Hälfte Bosniens. und der Föderation aus Bosniaken und Kroaten. In
der Föderation gibt es nochmals zehn Kantone - alle mit Regierungen,
Kompetenzen, Haushalten. Bosnien-Herzegowina ist mit 3,8 Millionen Einwohnern
nur wenig großer als Berlin. Aber es gibt weit mehr als die Hälfte seines
Geldes für seine 13 Regierungsapparate mit weit mehr als 160 Ministerien aus.
Auch dies ist ein Europarekord.
Die Wut der Demonstranten richtet sich nicht nur gegen die
im Alltag oft versagenden Kantonalregierungen, sondern auch gegen die Führung
der Föderation und die Präsidentschaft Bosnien-Herzegowinas: Die besteht aus
einem Bosniaken, einem Kroaten und einem Serben, hat weder Macht noch Einigkeit
und fällt den durchschnittlich von 420 Euro lebenden Bosniern nur dann auf, wenn
sich etwa Kopräsident Bakir Izetbegović einen - gebrauchten - Audi A8 als
Dienstwagen leistet.
Dagegen schafften es Bosniens Politiker 2013 nicht einmal, rechtzeitig
neue Identifikationsnummern auszugeben, ohne die keine Passe oder Personalausweise
ausgegeben werden können. Kine wesentliche Rolle beim Stillstand spielt die
Republika Srpska. Sie blockiert jede Stärkung des Zentralstaates. Das führte
auch dazu, dass Bosnien kein Agrarministerium und keine Agrarkontrollen auf
EU-Niveau hat. Deshalb können im Agrarland Bosnien Tausende Bauern ihre
Produkte nicht mehr exportieren. Die Folge: Einer UN-Umfrage zufolge setzt nur
einer von zehn Bosniern noch Vertrauen in seine Politiker.
Entsprechend fallen jetzt die Förderungen aus, die Demonstranten
in Sarajevo oder Bihac erheben: Sie wollen neue Regierungen ausschließlich aus
Partei ungebundenen Fachleuten. Die bisherigen Politiker sollen nicht nur ihre
Privilegien verlieren. Sie sollen weg.
Darüber hinaus wollen sie die Veröffentlichung aller
Unterlagen zur Privatisierung
von Staatsunternehmen. Und sie verlangen neue Bildungs- oder
Agrarstandards in Übereinstimmung mit EU-Normen. Der EU immerhin vertrauen 40
Prozent der Bosnier, wenn auch mit fallender Tendenz (siehe Artikel rechts).
Bosniens Regierende üben sich derweil in Ablenkungsmanövern.
Zwar traten drei Chefs von Kantonalregierungen mitsamt Kabinett zurück. Und der
Präsident der Föderation, Živko Budimir, sagte, die Politiker hatten „laut und
klar die Stimme des Volkes gehört". Zurücktreten aber will Budimir nicht.
Dabei ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Korruptionsverdacht gegen ihn.
Der Premier der Föderation, Nermin Nikšić, und Bosniens Kopräsident Bakir
Izetbegović, beide ebenfalls mit Rucktrittsforderungen konfrontiert, sehen sich
gleichfalls nicht in der politischen Verantwortung für die Proteste. Dafür
wollen sie Drogenhändler unter den Demonstranten ausgemacht haben. Die Polizei
habe bei Demonstranten zwölf Kilo der Labordroge Speed gefunden. Die Absichten
der Aussage sind so durchschaubar, wie sie offenbar falsch sind: Der Polizei
zufolge wurde nichts bei Demonstranten entdeckt.
Wie aber geht es nun weiter? Nur wenige Beobachter glauben,
dass die Bosnier es schaffen, eine das ganze Land umfassende Protestbewegung
aufzubauen, eine, die auch die Republik Srpska einbezieht. Edward Joseph,
zuletzt Vize-Leiter der OSZE -Mission in Kosovo, ruft die EU und die USA
deshalb zu einer „neuen kühnen" Bosnien-Initiative auf, um den Menschen zu
helfen. Kroatiens Ex-Präsident Stjepan Mesić plädiert sogar für einen
grundlegenden Neuaufbau Bosnien-Herzegowinas durch die internationale
Gemeinschaft: Die _unnatürlichen Entitäten". gemeint sind die Republika
Srpska und die Föderation, sollten abgeschafft und Bosnien und Herzegowina endlich
in eine „Zivilgesellschaft gleichberechtigter Burger" umgewandelt werden.
Der innere Aufbau müsse sich „deutlich vom heutigen unterscheiden". Die
Proteste seien für die internationale Gemeinschaft „die Gelbe Karte"
eine Aufförderung endlich zu handeln. „Wir sollten nicht warten, bis die Straße
die Rote Karte zeigt - dann wird es zu spät sein."
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