Dienstag, 11. Februar 2014

Feuer der Verzweiflung


Süd Deutsche Zeitung 10.februar 2014.
 
 

 

Plamen očaja

 

Ustanak u Bosni

 

Tri kantonalne vlade su već podnijele ostavku. Jedan od tri člana predsjedništva zahtjeva nove izbore u ovoj maloj zemlji. Masovni protesti već su nakon nekoliko dana pokazali rezultate. Narod se želi riješiti korumpirane elite i konačno uhvatiti priključak za Evropu.

 

Objavljeno u Süd Deutsche Zeitung 10. februara 2014.

 

Die Aufstände in Bosnien

 

Drei regionale Regierungschefs haben schon ihren Rücktritt verkündet, einer ist sogar geflohen.

Und einer von drei Staatspräsidenten verlangt Neuwahlen in dem kleinen Vielvölkerstaat. Der Massenprotest zeigt bereits nach wenigen Tagen erste Erfolge. Die Menschen wollen ihre korrupten Eliten loswerden – und endlich den Anschluss an den Rest Europas finden

 

Das kleine Balkan-Land ist bitterarm, aber es leistet sich einen Regierungsapparat mit mehr als 160 Ministerien. Das ist Europarekord - genauso wie die Arbeitslosenquote von 44 Prozent Nun Ist die lodernde Unzufriedenheit explodiert

VON FLORIAN HASSEL

Der Explosion des Volkszorns folgt das größte Aufräumen. Ob in Sarajevo, oder Mostar, in Tuzla oder Zeni­ca - überall in Bosnien-Herzegowina greifen am Samstag und Sonntag nicht nur öffentliche Bedienstete, sondern auch viele Bürger zu Schaufeln. Mullsäcken oder einfach nur zum Putzlappen. um die Folgen der Demonstrationen zu beseitigen. Jedenfalls, so gut es geht. Im Staatsarchiv von Bosnien-Herzegowina zum Beispiel geht gar nichts mehr: Dessen Mitarbeiter stehen traurig vor den Überresten eines ausgebrannten Archivraums. Jahrhundertealte Kauf- und Schenkungsvertrage sind ebenso verbrannt wie Unterlagen über Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg.

Das zerstörte Archiv ist nicht der einzige Großschaden der größten Protestwelle in Bosnien-Herzegowina seit dem Bürgerkrieg, mit Kundgebungen in 32 Städten. Die Schlagzeilen bestimmte das halbe Dutzend Städte, in denen Protest in Gewalt umschlug. Allein in Sarajevo wurden 187 Polizisten und 138 Demonstranten verletzt. Der Verwaltungssitz des Bezirks Sarajewo ging ebenso teilweise in Flammen auf wie der Site der Präsidentschaft Bosnien-Herzegowinas. In Tuzla, wo die Proteste ihren Ausgang nahmen und der Sitz der Kantonalregierung teilweise ausbrannte, wichen die Behörden in städtische Schulen

aus. In Mostar brannte nicht nur die Kanto­nalregierung, dort brannten auch Stadtverwaltung, Stadtrat und Parteisitze.

Die Demonstrationen, die auch am Sonntag in Sarajevo oder Bihać weitergehen, sind Resultat einer Unzufriedenheit. die sich seit Jahren aufgebaut hat. Bosnien-Herzegowina hat die höchste Arbeitslosigkeit in Europa: 44 Prozent der Bosnier haben keinen Job. Arbeit gibt es fast nur in staatlichen Behörden. Von denen aber gibt es so viele wie nirgendwo sonst. Da ist erstens die Zentralregierung des Staates Bosnien-Herzegowina. Da sind zweitens die

Die Menschen müssen im Schnitt von 420 Euro im Monat leben

Regierungen der Republika Srpska (RS), der von Serben dominierten Hälfte Bosniens. und der Föderation aus Bosniaken und Kroaten. In der Föderation gibt es nochmals zehn Kantone - alle mit Regie­rungen, Kompetenzen, Haushalten. Bosnien-Herzegowina ist mit 3,8 Millionen Einwohnern nur wenig großer als Berlin. Aber es gibt weit mehr als die Hälfte seines Geldes für seine 13 Regierungsapparate mit weit mehr als 160 Ministerien aus. Auch dies ist ein Europarekord.

Die Wut der Demonstranten richtet sich nicht nur gegen die im Alltag oft versagenden Kantonalregierungen, sondern auch gegen die Führung der Föderation und die Präsidentschaft Bosnien-Herzegowinas: Die besteht aus einem Bosniaken, einem Kroaten und einem Serben, hat weder Macht noch Einigkeit und fällt den durchschnittlich von 420 Euro lebenden Bosniern nur dann auf, wenn sich etwa Kopräsident Bakir Izetbegović einen - gebrauchten - Audi A8 als Dienstwagen leistet.

Dagegen schafften es Bosniens Politiker 2013 nicht einmal, rechtzeitig neue Identifikationsnummern auszugeben, ohne die keine Passe oder Personalausweise ausgegeben werden können. Kine wesentliche Rolle beim Stillstand spielt die Republika Srpska. Sie blockiert jede Stärkung des Zentralstaates. Das führte auch dazu, dass Bosnien kein Agrarministerium und keine Agrarkontrollen auf EU-Niveau hat. Deshalb können im Agrarland Bosnien Tausende Bauern ihre Produkte nicht mehr exportieren. Die Folge: Einer UN-Umfrage zufolge setzt nur einer von zehn Bosniern noch Vertrauen in seine Politiker.

Entsprechend fallen jetzt die Förderungen aus, die Demonstranten in Sarajevo oder Bihac erheben: Sie wollen neue Regie­rungen ausschließlich aus Partei ungebundenen Fachleuten. Die bisherigen Politiker sollen nicht nur ihre Privilegien verlieren. Sie sollen weg.

Darüber hinaus wollen sie die Veröffentlichung aller Unterlagen zur Privatisierung

von Staatsunternehmen. Und sie verlangen neue Bildungs- oder Agrarstandards in Übereinstimmung mit EU-Normen. Der EU immerhin vertrauen 40 Prozent der Bosnier, wenn auch mit fallender Tendenz (siehe Artikel rechts).

Bosniens Regierende üben sich derweil in Ablenkungsmanövern. Zwar traten drei Chefs von Kantonalregierungen mitsamt Kabinett zurück. Und der Präsident der Föderation, Živko Budimir, sagte, die Politi­ker hatten „laut und klar die Stimme des Volkes gehört". Zurücktreten aber will Bu­dimir nicht. Dabei ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Korruptionsverdacht ge­gen ihn. Der Premier der Föderation, Nermin Nikšić, und Bosniens Kopräsident Ba­kir Izetbegović, beide ebenfalls mit Rucktrittsforderungen konfrontiert, sehen sich gleichfalls nicht in der politischen Verantwortung für die Proteste. Dafür wollen sie Drogenhändler unter den Demonstranten ausgemacht haben. Die Polizei habe bei Demonstranten zwölf Kilo der Labordroge Speed gefunden. Die Absichten der Aussage sind so durchschaubar, wie sie offenbar falsch sind: Der Polizei zufolge wurde nichts bei Demonstranten entdeckt.

Wie aber geht es nun weiter? Nur wenige Beobachter glauben, dass die Bosnier es schaffen, eine das ganze Land umfassende Protestbewegung aufzubauen, eine, die auch die Republik Srpska einbezieht. Edward Joseph, zuletzt Vize-Leiter der OSZE -Mission in Kosovo, ruft die EU und die USA deshalb zu einer „neuen kühnen" Bosnien-Initiative auf, um den Menschen zu helfen. Kroatiens Ex-Präsident Stjepan Mesić plädiert sogar für einen grundlegenden Neuaufbau Bosnien-Herzegowinas durch die internationale Gemeinschaft: Die _unnatürlichen Entitäten". gemeint sind die Re­publika Srpska und die Föderation, sollten abgeschafft und Bosnien und Herzegowina endlich in eine „Zivilgesellschaft gleichberechtigter Burger" umgewandelt werden. Der innere Aufbau müsse sich „deutlich vom heutigen unterscheiden". Die Pro­teste seien für die internationale Gemein­schaft „die Gelbe Karte" eine Aufförderung endlich zu handeln. „Wir sollten nicht warten, bis die Straße die Rote Karte zeigt - dann wird es zu spät sein."

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